Thing
Ethnologie
Thing geht auf germanisch *þenga- „Übereinkommen, Versammlung“ zurück und steht in grammatischem Wechsel zu gotisch *þeihs „Zeit“. Dieser etymologische Zusammenhang verweist darauf, dass das Thing meist zu festgelegten Zeiten abgehalten wurde. Die ältesten Belege des Wortes finden sich auf Altarsteinen, die von friesischen Söldnern in römischen Diensten entlang des Hadrianswalls errichtet wurden und die dem Gott Mars Thincsus geweiht waren als Gott des Things.
Das Wort Thing bedeutet seit ältester Zeit „Volks- und Gerichtsversammlung“. Im alemannischen Raum und im Rheinland hat sich die Bedeutung teilweise noch bis ins 17. Jahrhundert im Wort Dinghof erhalten, das einen mit dem herrschaftlichen Niedergericht verbundenen Hof bezeichnete. Daneben machte der Begriff einen Bedeutungs- und Lautwandel durch. Þing wurde zu angelsächsichem Ding und neuenglisch thing. Die Bedeutung „Sache“ leitet sich von der auf der Gerichtsversammlung behandelten „Rechtssache“ ab (vgl. auch lat. res publica „Staat“, wörtlich: „öffentliche Sache“, zu res„Sache“) und wurde später verallgemeinert. Im Gegensatz zu Deutschland und England erhielt sich der Begriff im Norden in beiden Bedeutungen bis heute. So heißt das isländische Parlament Alþingi, das dänische Folketing, das norwegische Storting und das der Färöer-Inseln Løgting. In Schweden heißen die Provinziallandtage Landsting. Amtsgerichte heißen auf schwedisch tingsrätt, in Norwegen tingrett.
Im deutschen Wortschatz hat sich der Begriff in einigen Ableitungen wie den Adjektiven dinglich (ursprünglich „das Gericht betreffend“, heute noch in der Fügung dingliches Recht) dingfest und dingflüchtig sowie in den Ableitungen des veralteten Verbs dingen – wie gedungen, sich verdingen, sich ausbedingen, bedingt, Bedingung, unabdingbar – erhalten. Der Dienstag ist dem germanischen Gott Tiwaz oder Tyr als Beschützer des Things gewidmet.
Auch in vielen Ortsnamen hat sich der Begriff erhalten, beispielsweise Thüngen, Dingden, Denghoog, Dingstäde, Dingstätte und Dingstede in Deutschland, Tingvoll, Tingvatn und Tinghaug in Norwegen, Þingvellir in Island oder Tingstäde auf Gotland.
Das altgermanische Thing diente der wirtschaftlichen Beratung ebenso wie Gerichtsverhandlungen und auch kultischen Zwecken. Es fand unter Vorsitz des Königs bzw. des Stammes- oder Sippenoberhaupts unter freiem Himmel statt, oftmals unter Gerichtslinden(vgl. Irminsul) und stets am Tag (daher Tagung). Es dauerte nach einigen Quellen drei Tage. Die Thingordnung regelte unter anderem, wann und wo die Versammlungen stattfanden. Mit der Eröffnung der Versammlung wurde der Thingfriede ausgerufen. Als Schutzherr des Things galt der altgermanische Gott Tyr. In vorchristlicher Zeit sollen Thingplätze auch kultischen Spielen gedient haben, dass jedoch ist nur eine Annahme. Aus wendischen Berichten, waren Kulte verboten, aber es wurden zum Beispiel: Tathergang und Werdegang nachgespielt, um eindrucksvolle Erläuterungen abzugeben.
Tacitus beschreibt in seiner Germania (De origine et situ Germanorum) den Ablauf eines Things. Demnach wurden am ersten Tag der Zusammenkunft unter starkem Alkoholkonsum wichtige politische, Dinge besprochen. Beschlüsse wurden dagegen erst am nächsten Tag in nüchternem Zustand gefasst. Dieses Vorgehen hatte Tacitus zufolge den Vorteil, dass am ersten Tag die Teilnehmer leichter mit „freier Zunge“ redeten. Tacitus spricht zwar von militärischen Beredungen, doch diese fanden erst nach der Invasion der Römer statt.
Die Regeln des Thing wurde vom Rhetra (Hort der gelehrten Weisen) ausgegeben. Ein Verstoß dagegen konnte den Verlust des Zugangs zum Hort und damit womöglich ein schlimmes Schicksal der Gemeinde bedeuten. Das Rhetra war eine wissenschaftliche Institution, die sich mit allen Dingen des Lebens, der Natur und des Geistes und des Zusammenlebens befasst. Heute tun das Stiftungen und Institutionen.
Bernd Stößer
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